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Da bin ich wieder und ich weiß gar nicht so recht, womit ich beginnen soll. Vielleicht damit: Seit einigen Wochen habe ich ein Bild im Kopf und das lässt mich nicht mehr los. Als ich eine örtliche Lokalzeitung durchblättere, springt mir dieses Bild entgegen. Ungläubig starre ich es an. Vier Köpfe starre ich an – eigentlich sind es sieben. Ein zufrieden lächelnder Lehrerinnenkopf und drei lächelnde Mädchenköpfe. Die Kinder präsentieren stolz ihre Selbstportraits – deshalb sieben Köpfe.
In jedem gemalten Kinderschädel steckt ein Trichter, hineingebohrt in den Kopf und angefüllt mit Wörtern, die offensichtlich Wissen symbolisieren sollen. Der dieses absurde Foto begleitende Text lautet:
„Es ist wohl der Traum jedes Lehrers, den Kindern mit Hilfe eines Trichters Weisheit einflößen zu können. Die Schüler der … setzten diesen lustigen Gedanken in ein Bild um. Sie fertigten ein Selbstportrait, das mit Trichter, Wörtern und Buchstaben den Lernvorgang darstellen soll.“
Ich bin sprachlos und ehrlich bestürzt und finde diese Darstellung in Anspielung auf den Nürnberger Trichter ganz schrecklich und alles andere als lustig, in einer Zeit in der das Thema Bildung ein ganz besonders sensibles ist. In all meinen Jahren, die ich als Mutter von fünf Kindern und als Lehrerin Lernprozesse begleitete - und es waren auch sehr schwierige dabei -, wünschte ich mir kein einziges Mal, Kindern mittels eines Trichters Wissen einflößen zu können. Mir kommen dazu sofort folgende Assoziationen:
Brutalität: Etwas wird in Kinderköpfe hineingesteckt (Trichter - schaut auch auf den Kinderzeichnungen schon ziemlich brutal aus), um dann etwas hineinzustopfen. Wer will das schon als Erwachsener erleben? Was ist, wenn der Kopf voll ist und die stopfende Lehrerin/der stopfende Lehrer es nicht bemerkt. Zerspringt er, geht er über? Wird auch das dann lustig dargestellt? Im Gründungsjahr der Schule im Dialog kamen einige schon etwas ältere Kinder zu uns, die diese Stopfmethode woanders nicht mehr ausgehalten hatten. Wir mussten monatelang daran arbeiten, dass sich diese Kinder nicht mehr mit leicht gebückter Haltung und eingezogenem Kopf an ihren Schreibtisch setzten, sobald es ums „Lernen“ (Rechnen, Schreiben, Lesen, ...) ging. Es gibt sogar Filmaufnahmen von diesen gebückten, fast gebrochenen Schülern. Monatelang dauerte es, bis sie sich wieder etwas zutrauten und uns vertrauten, dass wir nicht wieder mit einem Trichter ihre Köpfe quälten. Monatelang dauerte es auch, bis ihre Körperhaltung beim Lernen wieder aufrechter und entspannter wurde und sie in schulischen Belangen wieder Selbstvertrauen aufbauten.
Stillstand: Lernen mit dem Nürnberger Trichter bedeutet (Kinder)Köpfe mit dem zu befüllen, was jemand anderer aussucht, was jemand anderer schon gedacht, erforscht, gelernt hat. Bei dieser Form von Lernen entwickelt sich nichts weiter und findet letztlich kein Lern-/Denk-Fortschritt statt. Lernen wird zum passiven Akt des sinnlosen Faktenaufnehmens degradiert. „Bulimie-Lernen“ ist wohl der moderne Ausdruck dafür. Für Neugier als eine der wichtigsten Triebfedern für lebenslanges, selbstbestimmtes Lernen und Forschen ist in einem zwangsangestopften Kopf kein Platz mehr. Außerdem gibt es über die richtige Auswahl an wichtigem „Trichterfüllmaterial“ sowieso schon seit langem Zweifel seitens Eltern, Schülerinnen und Schülern. Alle Marterln der Umgebung auswendig wissen, alle Kirchen einer Stadt zu kennen, ohne sie jemals besucht zu haben, alle europäischen Hauptstädte ohne Atlas auswendig zu lernen, …
Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum mir dieses Köpfebild nicht mehr aus dem Kopf geht, mich so betroffen gemacht hat. Ich hoffe und glaube eigentlich ganz fest daran, dass Lernen nach dem Modell des Nürnberger Trichters nicht der Traum jeder Lehrerin/jedes Lehrers ist – Gott sei Dank!!
Der Traum von einer anderen Art zu lehren und zu lernen und mir selbst die dafür notwendigen organisatorischen und baulichen Rahmenbedingungen zu schaffen, war unter anderem auch ausschlaggebend für die Gründung der Schule im Dialog. Am Freitag hatten wir wieder Tag der offenen Tür. Außerdem führte ich in letzter Zeit wieder vermehrt Elterngespräche bezüglich eines Schulplatzes bei uns. Immer klarer kann ich nun unser Schulprofil darstellen. Ich sehe die Schule im Dialog nicht so sehr als „Alternativschule“, sondern als ausgezeichnete Alternative zum öffentlichen Schulsystem. Ich könnte auch mit dem normalen Lehrplan sehr gut unterrichten, leben und arbeiten. Nichts Unsinniges wird in diesem Rahmenlehrplan verlangt. Auch bei uns müssen die Kinder die Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnern erlernen. Für forschendes Lernen, wie es bei uns stattfindet, ist auch im Lehrplan an öffentlichen Schulen Platz.
Es sind vor allem ein anderes Verständnis von Lehren und Lernen und die Schulorganisation, die so vieles behindern und unmöglich oder gar kaputt machen. Jahrgangsgemischtes Lernen, Inklusion, Überspringen einer Klasse oder ein Jahr länger brauchen, flexible Stunden-/Pauseneinteilung, Mitarbeit von Lernbegleiterinnen, therapeutische Elemente im Unterricht, freie Auswahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unkomplizierte und schnelle Beschaffung notwendiger Materialien, uvm … All dies ist bei uns an der Schule im Dialog sehr unkompliziert und unbürokratisch möglich und unterscheidet uns von öffentlichen Volksschulen. All unsere pädagogischen Bemühungen ruhen auf drei Grundpfeilern: Bildung, Beziehung und Förderung.
Ich bin noch immer dabei, ein grafisches Modell dafür zu entwickeln. Sobald es fertig ist, werde ich es hier veröffentlichen und genau erklären.
Einen Trichter verwenden wir aber auch ab und zu, sogar schon im Vorschulkurs. Die Kinder benützen ihn, um z.B. bunte Flüssigkeiten in Eprouvetten zu füllen. Dabei versuchen sie, einen möglichst gleich hohen Füllstand in allen Glasröhrchen zu erreichen. Auch in unserer Schulküche werden Trichter immer wieder gebraucht. Beim Abfüllen von selbstgemachten Sirupen in Flaschen, … Beim Einfüllen von Vogelfutter in selbstgebaute Vogelfutterspender sind sie auch sehr nützlich.
Und nun zu anderem:
Vier unserer fünf älteren Schulkinder, alle haben unterschiedlich stark ausgeprägte Lernschwächen, werden in zwei Jahren an landwirtschaftliche Fachschulen wechseln. Bernhard und ich besuchen sowohl Frau Mag. Geiswinkler von der Landwirtschaftlichen Fachschule Hollabrunn, als auch Frau Dir. DI Bauer von der Landwirtschaftlichen Fachschule Edelhof. Wir wollen dort in Erfahrung bringen, welche Voraussetzungen unsere Schüler mitbringen müssen, um an diesen Schulen bestehen zu können. Beide Damen nehmen sich wirklich viel Zeit für uns – nochmals ein herzliches Dankeschön. Sie schicken uns auch Tests, Schularbeiten, Lehrstoffverteilungen, … damit wir einen Überblick bekommen, was unsere Schüler können müssen, worauf wir sie vorbereiten sollten. Denn Bernhard und ich wollen die Jugendlichen wirklich bestmöglich fit machen, für das, was sie in ihren weiterführenden Schulen brauchen. Nach den Gesprächen mit Mag. Geiswinkler und Frau Dir. Bauer sind wir auch relativ zuversichtlich, dass uns das innerhalb der nächsten zwei Jahre gelingen wird. Wir vereinbaren, dass Bernhard mit den Schülern noch in diesem Semester das erste Mal an beiden Schulen hospitieren wird und zwar an einem Praxistag. Wir wollen, dass die Burschen sehen, was sie an ihrer weiterführenden Schule erwartet, worauf sie sich freuen können und wofür sie sich während der nächsten zwei Jahre anstrengen sollten.
Auch zur NMS Horn, in die heuer wieder zwei unserer Schüler wechseln werden, pflegen wir beste Kontakte. Bernhard nahm mehrmals mit allen Kindern der 4. Schulstufe am Turnunterricht der NMS Horn teil. Sie wurden dort von Dipl. Päd. Doris und Dipl. Päd. Manfred Antony sehr freundlich und unkompliziert aufgenommen. Unsere Kinder waren auf jeden Fall begeistert von diesen Turnstunden. Noch im März wird Dipl. Päd. Arthur Hainböck eine Physikstunde zum Thema Fliegen für Bernhards Klasse abhalten. Auch darauf freuen sich schon alle. Herzlichen Dank für diese gute Zusammenarbeit!
Mit Herrn Dir. Mag. Ableidinger vom Bundesgymnasium Horn bespreche ich die Modalitäten eines Wechsels von der Schule im Dialog ans Gymnasium, denn heuer werden zum ersten Mal Schüler von uns in verschiedene Gymnasien wechseln. Horn, Krems, Waidhofen und evt. Hollabrunn stehen den Kindern zur Auswahl. Übrigens, einer unserer Schüler wird nach nur drei Jahren ans Gymnasium wechseln. Er hat bei uns problemlos die dritte Schulstufe übersprungen.
Anna und Lisa sind zwei junge Frauen, die Roswitha, unsere Leseoma, seit einigen Wochen ehrenamtlich, jeden Mittwoch nach der großen Pause, unterstützen – einfach weil sie das gerne tun. Wir freuen uns sehr über diese willkommene Hilfe. Nach einigem Nachdenken ist mir dann auch ein passender „Arbeitstitel“ für die beiden eingefallen. Leseoma passt ja nun wirklich nicht! Lesetante, Lesedame – auch unpassend. Aber mit Lernbegleiterin haben wir eine Bezeichnung gefunden, die ausdrückt, was die beiden bei uns machen.
Momentan verbringe ich jeden Mittwoch nach der großen Pause in Bernhards Klasse bei den älteren Schulkindern. Warum erzähle ich später. In meiner Klasse wird währenddessen fingergestrickt, gewebt und gezeichnet. Außerdem stellen die Kinder aus Papier und Gips kleine Schneemänner her und bauen aus Holz einen Nistkasten für den eigenen Garten. Marianne könnte diese vielfältigen Aktivitäten alleine gar nicht begleiten. Lisa und Anna unterstützen sie da ganz wunderbar, während Roswitha wie auch bisher jeweils mit einem Kind ca. 15 min liest.
Aber auch in Bernhards Klasse kommt das Werken nicht zu kurz. Die Großen fertigen Gipsabdrücke ihrer Gesichter an und verzieren die so entstandenen Masken. Wie schon erwähnt, Lernen hat für uns nichts mit Trichtern zu tun. Es kann u.a. auch bedeuten, beim Werken seine Feinmotorik, Konzentration und Ausdauer zu schulen, für ein Bild die Besonderheiten eines Buntspechtes wahrzunehmen und darzustellen, eine Bauanleitung zu lesen und zu verstehen, sorgsam, behutsam und rücksichtsvoll mit dem Körper eines anderen umzugehen (Gipsmaske)… Danke Anna und Lisa für euer Engagement als wunderbare Lernbegleiterinnen!!
Unser Aufklärungsunterricht ist der Grund für meine Abwesenheit in meiner Klasse und meine Anwesenheit in Bernhards Klasse, jeden Mittwoch nach der großen Pause und das nun schon seit einigen Wochen. Sehr spannend, mehr dazu im nächsten Blog, der diesmal sicher früher kommt – versprochen!
Zum Schluss noch ein Hinweis auf ein neues SiD-Material. Es gibt ab nun zu allen SiD-Deutsch-Programmen die passenden Stammformenkärtchen – ein tolles Material mit dem Ihre (Schul)Kinder ihre sprachlichen Kompetenzen im Bereich Grammatik/Stammformen und Rechtschreiben selbständig trainieren können. Wie intensiv mit diesem Material gearbeitet werden kann, sehen Sie hier.